Coolout in der (ambulanten) Pflege: Ein Phänomen und seine Folgen für zu Pflegende, Mitarbeitende, Führungskräfte

Abkühlung und Kälte sind nicht immer sofort die Assoziationen, die man mit Pflegekräften und ihrer Arbeit verbindet. Die Pflegetätigkeit mit ihren hohen psychischen Belastungen wird doch eher mit Stress und Burnout verknüpft. In diesem Beitrag wird daher das Phänomen des Coolouts in der (ambulanten) Pflege vorgestellt und beleuchtet, wie es sich auf die Mitarbeitenden und das Team sowie insbesondere auf die zu pflegenden Menschen auswirkt.

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1. Welche Anforderungen an Pflegekräfte gibt es genau?

Pflegekräfte sind steigenden Anforderungen ihres Berufsalltags ausgesetzt: Steigender Zeitdruck, fehlendes Personal durch Krankheitsausfälle, Fluktuation und fehlender Nachwuchs sowie Kostendruck durch wirtschaftliches Agieren von Krankenhäusern, stationären Pflegeeinrichtungen und ambulanten Pflegediensten bewirken, dass Pflegekräfte oft ihre pflegerische Versorgung aus Grund- und Behandlungspflege sowie Begleitung und Betreuung nicht in dem Maße umsetzen können, wie sie gemäß ihrem beruflichen Selbstverständnis eigentlich von sich selbst erwarten.

2. Welche Reaktionen der Pflegekräfte auf diese Anforderungen gibt es?

Im Arbeitsalltag entstehen durch die hohen Anforderungen auf der einen Seite und das berufliche, auf die*den individuelle*n Patienten*Patientin ausgerichtete, Pflegeselbstverständnis auf der anderen Seite moralische Konfliktsituationen: Pflegekräfte wollen die beste Pflege leisten – jedoch lässt der Zeitdruck dies nicht zu. Die sie umgebenden Rahmenbedingungen der Pflege sorgen für einen unauflösbaren Widerspruch. Hier kommt die Metapher der Kälte, der sogenannte „Coolout“ ins Spiel:

3. Was bedeutet Coolout?

Die Pflegewissenschaftlerin Karin Kersting prägte den Begriff des „Coolout“ im Pflegesetting. Die sprichwörtliche Kälte beschreibt den Widerspruch zwischen hohen fachlichen Anforderungen an die Pflegekräfte und den strukturellen Rahmenbedingungen in der Pflegewirtschaft. Ideale und wirtschaftliche Realität können kaum miteinander vereint werden. Darüber hinaus bezeichnet der Begriff die Reaktion der Pflegekräfte auf diese „kalten Arbeitsbedingungen“: Pflegekräfte nehmen diese Bedingungen irgendwann an, stumpfen gewissermaßen ab und lernen mit den Bedingungen umzugehen bzw. sie hinzunehmen. Sie erkalten gewissermaßen selbst.

Je nach Grad der Wahrnehmung von Situationen und Bedingungen des Pflegealltags, die gegen die Pflegefachlichkeit stehen, entstehen unterschiedliche Reaktionen von Pflegekräften auf diese.

4. Welche Strategien des Umgangs mit moralischen Konfliktsituationen gibt es?

Die Abkühlung und Abstumpfung von Pflegekräften kann man auch gemeinhin als moralische Desensibilisierung bezeichnen. Pflegekräfte können mit den moralischen Konfliktsituationen nur umgehen, indem sie sich „kalt machen“ und verschiedene Strategien zum Umgang mit der Problematik nutzen. (Dies ist gewissermaßen wie eine Selbstschutzstrategie zu verstehen.) Entweder sie nehmen die Praxissituation durch wirtschaftliche Zwänge mit einer gewissen Ohnmacht einfach hin und akzeptieren die Bedingungen oder sie versuchen den Widerspruch aufzulösen. Teils erkennen sie auch schlussendlich, dass der Widerspruch in sich unauflösbar bleiben wird.

Die moralischen Konfliktsituationen führen dazu, dass Pflegekräfte den Widerspruch zwischen Ideal und Praxis erkennen, diese Spannungssituation aber nicht auflösen können und darunter leiden. Zudem kann es auch passieren, dass sie sich dem Widerspruch anpassen und die Normverletzung billigend annehmen. Diese Personen gehen davon aus, dass „sich sowieso nichts ändern wird“, „da alle durch müssen“ und versuchen sich deshalb entsprechend mit dieser Situation zu arrangieren, um nicht mehr unter dem Widerspruch zu leiden. Das ist für sie persönlich vorteilhaft, kann aber auch zu Lasten anderer Kolleg*innen gehen. Der Widerspruch wird zwar nicht aufgelöst, aber die eigene Hilflosigkeit etwas gemindert.

Der Versuch, den Widerspruch aufzulösen wird zum Beispiel durch folgende Reaktionsmuster auf die Kälte angestrebt: Es werden Prioritäten im Arbeitsalltag gesetzt (wodurch andere wichtige Aufgaben wegfallen), Kompromisse angestrebt (wodurch auch benötigte Zeit oder Arbeitsqualität für bei Pflegearbeiten verringert wird) oder versucht wird, die Arbeitsabläufe effizienter zu gestalten (und somit schlussendlich auch nur ein Mehr an Arbeit bzw. Zeitdruck generiert wird). Weiterhin wird aber auch teils versucht, innerhalb der gesteckten Ansprüche bestimmte Nischen für die bestmögliche Patientenorientierung zu finden, zum Beispiel zu bestimmten Zeiten oder bei der Pflege bestimmter Patient*innen. Dadurch kann der moralische Widerspruch für einen Moment aufgelöst werden. Andere Pflegekräfte verweigern sich sogar einigen Anforderungen, wenn diese ihrem eigenen pflegefachlichen Anspruch entgegenstehen. Aber auch diese Art des Umgangs schafft nur zeitweise Auflösung des Konflikts.

5. Was kann gegen Coolout getan werden?

Coolout ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, was nicht durch die Reaktionsmuster einzelner Pflegekräfte aufgelöst wird. Es bedarf gesellschaftspolitischer Anstrengungen, um einerseits auf die Problematik aufmerksam zu machen und andererseits hohe strukturell bedingte Anforderungen im Pflegealltag zu verringern oder bestenfalls aufzulösen. Aufklärung in Ausbildung und Weiterbildung helfen, das Phänomen sichtbarer zu machen und in seiner Einflussnahme auf alle Pflegekräfte zu verdeutlichen. Auch die stetige Wahrnehmung und Diskussion des Problems in den Unternehmen steigert die Sichtbarkeit von Coolout.

 

Quellen:

Kersting, K. (2016): Was ist Coolout?https://opac.hs-lu.de/repository/DOC000001/B00207512.pdf

Promedis24 GmbH (2022): Coolout in der Pflege: Berufskrankheit Gleichgültigkeit. Abgerufen von https://promedis24.de/alle-news-artikel/artikel/coolout-in-der-pflege-berufskrankheit-gleichgueltigkeit

 


Alle Informationen kompakt: Faktenblatt Coolout

Zum Download: https://pflex-sachsen.de/pflex/fileadmin/user_upload/29_Factsheet_Coolout.pdf

Das Thema "Coolout" interessiert Sie? Hören Sie doch einmal in unseren Podcast mit Frau Mirjam Staffa, Ambulante Ethikberatung Sachsen, rein.

Sie berichtet von ihren Erfahrungen mit der Thematik. https://pflex-sachsen.de/pflex/wissen/pflexpodcast