Moral und Ethik in der ambulanten Pflege – Warum es sich lohnt, diese Felder explizit zu bearbeiten

Sie hören die Begriffe „Ethik“ oder „Moral“ und schalten beinahe innerlich ab? Vielen Menschen geht es so wie Ihnen. Doch es verhält sich hier wie mit der Kommunikation – es muss darüber gesprochen werden! Denn Ethik und Moral bestimmen den Alltag in der ambulanten Pflege und sind wichtige Faktoren im Kontext der Klient*innenversorgung, Gesundheit und Sicherheit im Arbeitsalltag und Fachkräftegewinnung und -bindung. In diesem Beitrag skizzieren wir Ihnen den Zusammenhang und die Auswirkungen von Moral und Ethik auf den ambulanten Pflegealltag. Sie erfahren zudem mehr zu konkreten Handlungsansätzen für Ihren Pflegedienst.

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Begriffsklärung: Was ist Ethik? Was ist Moral? Wofür stehen sie in der ambulanten Pflegepraxis?

Moral und Ethik sind zwei miteinander verknüpfte Konstrukte. Moral steht für die Werte und Normen, die wir zu deren Umsetzung an unser Verhalten anlegen. [1] Ein Pflegedienst kann also entsprechend Werte wie Professionalität, Würde des Menschen oder Vertrauen agieren. Dafür kann er Verhaltensregeln wie Eingehen auf die Bedürfnisse der Klient*innen und Erbringen einer hohen Pflegequalität, respektvolles Auftreten im Umgang mit Klient*innen sowie Aufbau von transparenten und ehrlichen Beziehungen aufstellen.

Ethik befasst sich mit den Voraussetzungen für menschliches Handeln und reflektiert dieses. Lay (2022) versteht Ethik in der Pflege als eine Reflexion der Werte, Normen und gezeigten Verhaltensweisen. [1]

In der Arbeit von Pflegekräften kommt es immer wieder vor, dass moralische Konflikte entstehen: Es besteht ein Konflikt darüber, welches Handeln entsprechend welcher moralischen Norm nun richtig ist. [1, 2] Ein Beispiel: Eine Pflegekraft pflegt ihre Klient*innen stets professionell und mit Hingabe. Da eine Kollegin ausgefallen ist, muss sie diese vertreten und steht nun vor dem Problem: Soll ich allen Klient*innen die ihnen zugedachte Aufmerksamkeit, Qualität und Zeit geben oder soll ich verkürze ich die Zeit, um keine Überstunden zu machen und entsprechend der Vorgaben des Unternehmens zu handeln? Setzt sich die Pflegekraft nun kritisch mit ihren Werten, Normen, Verhaltensweisen und moralischen Konflikten auseinander, betreibt sie im Grunde genommen Ethik. [1]

 

Welche moralischen Probleme gibt es in der ambulanten Pflege?

Die Studie von Lauxen (2009) befasste sich genau mit dieser Frage. Anhand von 20 Interviews ermittelte Oliver Lauxen, dass Pflegekräfte in der ambulanten Pflege von besonders folgenden moralischen Problemen betroffen sind [3]:

  • Konflikt zwischen Fürsorge und Autonomie: Dieser Konflikt steht dafür, dass Pflegekräfte in der Häuslichkeit die eigentlich notwendige Pflege nicht mehr gewährleisten können, der Klient oder die Klientin aber weiterhin in der Häuslichkeit statt in stationärer Pflege versorgt werden möchte. Hinzu kommen unterschiedliche Sichtweisen von Klient*innen und Angehörigen auf den Grad der Versorgung, wobei die ambulanten Pflegekräfte oft „zwischen den Stühlen stehen“.
  • Konflikt zwischen Fürsorge und Gerechtigkeit: Ambulante Pflegekräfte möchten all ihren Klient*innen das selbe Maß an Aufmerksamkeit geben. Jedoch kollidiert dies mit den zugeteilten zeitlichen Ressourcen entsprechend des Pflegebedarfs der Klient*innen. Bei Klient*innen, denen gemäß ihres geringeren Pflegebedarfes auch weniger Zeit zur Versorgung durch die Pflegekraft zugestanden wird, bleibt dadurch auch weniger Zeit für sozialen Austausch und persönliche Gespräche, obwohl diese mitunter dringend benötigt werden.
  • Konflikt zwischen Fürsorge und Loyalität: Hierbei kollidieren Fürsorgeprinzipien gegenüber der Pflege von Menschen in der Häuslichkeit mit den Verpflichtungen gegenüber dem
    • Arbeitgeber (häufig steht hier die kostendeckende Arbeitsweise, verbunden mit Zeitdruck in Konflikt zur eigentlich für die Pflege benötigte Zeit),
    • Hausärzt*innen (wie Verpflichtung zur Durchführung von ärztlichen Anordnungen, die jedoch nicht dem aktuellen pflegerischen Standard entsprechen) und
    • gegenüber sich selbst und dem eigenen Privatleben (z.B. Durchführen von Überstunden, um die Fürsorge gegenüber den zu Pflegenden wahrzunehmen, wodurch aber wiederrum das Privatleben leidet).

Hinzu kommt laut Lauxen (2009) der Fall, dass es für die ambulanten Pflegekräfte manchmal nicht einfach ist, die moralisch richtige Entscheidung zu treffen. Dies sei vor allem in potenziellen Notsituationen wie sich abzeichnenden hypertensiven Krisen oder andauerndem erhöhten Blutzuckerspiegel der Fall: Sollte ich jetzt schon Arzt*Ärztin verständigen oder kann ich noch abwarten? [3]

 

Welche Folgen haben moralische Probleme für die Klient*innen und Mitarbeiter*innen?

Im ICN-Ethikkodex ist der „professionelle[…] Imperativ, die eigene Gesundheit zu erhalten, um arbeitsfähig bleiben zu können“ [4, S. 46] benannt.

Beginnen ambulanten Pflegekräfte beispielsweise, Klient*innen in ihrer Freizeit zu versorgen, so kann dies gesundheitliche Folgen nach sich ziehen: Fehlendes Abschalten von der Arbeit, Entgrenzung zwischen Arbeits- und Privatleben, Überlastung und Stress können physische und psychische Probleme hervorrufen.

Auf Unternehmensebene gibt es ebenfalls Folgen: „Eine routinemäßige, „unsichtbare“ Pflege (nicht geplant, nicht dokumentiert, nicht abgerechnet) zur Kompensation von Mängeln hat für die relevanten Stakeholder nicht stattgefunden bzw. die geplanten Aufgaben wurden trotz prekärer Rahmenbedingungen zufriedenstellend erledigt. Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen scheint somit nicht nötig.“ [4, S. 47 f.]

Es ist demnach wichtig, moralische Probleme in der Pflege offen zu thematisieren und Pflegekräfte entsprechend für den Umgang mit ihnen zu schulen.

 

Wie kann Ihr Pflegedienst moralische Konflikte bearbeiten?

Generell sollten folgende zwei Aspekte gewährleistet werden:

  • Laufendes Angebot von Fort- und Weiterbildungen, um pflegerische Kompetenzen zu stärken und Kompetenzen für das Benennen von ethisch-moralischen Konflikten zu schaffen [3]
  • Angebot von Gesprächsformaten, wie Fallberatung, Supervision oder Zeit in Teammeetings, um moralische Probleme in der pflegerischen Versorgung zu besprechen und Handlungsoptionen abzuleiten [3]

 

Weiterhin sollten Sie als Führungskraft nah an ihren Pflegekräften dran sein, um mögliche „verdeckte“ Arbeit in der Freizeit zu identifizieren. Eine klare Haltung gegen eine Überstundenkultur eröffnet die Möglichkeit, problematische Arbeitsbedingungen zu identifizieren und gemeinsam Verbesserungsmaßnahmen abzuleiten.

 

Weiterhin können Sie die Beratung der Ambulanten Ethikberatung Sachsen (https://www.ambulante-ethikberatung-sachsen.de/) in Anspruch nehmen, um sich vertieft mit dem Thema Ethik und Moral bei Ihnen im Unternehmen auseinanderzusetzen.

 

Was bewirkt ein sicherer Umgang mit Ethik und Moral für Ihr Unternehmen und Ihre Klient*innen?

Es wird immer wieder zu moralischen Problemen in der Pflege kommen, aber ein offener Umgang mit ihnen hilft, dass sich Pflegekräfte sicherer in ihren Entscheidungen fühlen, Wissen und Kompetenzen hinzugewinnen und zufriedener bei der Arbeit sind. Da moralische Konflikte psychisch und physisch belastend sein können, führt eine offene Unternehmenskultur mit Platz für Austausch zur Entlastung und Stärkung. Diese sind, neben der Arbeitszufriedenheit, wichtige Faktoren, um die Bindung Ihrer Mitarbeiter*innen an Ihr Unternehmen zu erhöhen. Diese Gesprächsangebote und gegenseitige Unterstützung sollten sie auch in Ihrer Außendarstellung des Unternehmens kommunizieren: Teilen Sie dies künftigen Mitarbeiter*innen in Stellenausschreibungen oder auf Ihrer Unternehmenswebseite mit!

Gut gestaltete Arbeitsbedingungen und zufriedene Pflegekräfte haben einen direkten Einfluss auf die Qualität der Pflege, Kommunikation mit und Zufriedenheit von Klient*innen und Angehörigen.

 

Quellen:

[1] Lay, R. (2022). Ethik in der Pflege. Das Lehrbuch für alle Bereiche der Pflege. Schluetersche.

[2] Kersting, K. (2016). Was ist Coolout? Abgerufen von https://opac.hs-lu.de/repository/DOC000001/B00207512.pdf

[3] Lauxen, O. (2009). Moralische Probleme in der ambulanten Pflege –

Eine deskriptive pflegeethische Untersuchung, Pflege, 22, 421 – 430. doi: 10.1024/1012-5302.22.6.421

[4] Seidlein, A.-H. (2020). Ethik in der ambulanten Pflege: Eine integrative Analyse unter Berücksichtigung medizin- und pflegeethischer sowie medizintheoretischer Aspekte.

 


Alle Informationen kompakt: Faktenblatt Moral und Ethik

Zum Download: https://pflex-sachsen.de/pflex/fileadmin/user_upload/31_Factsheet_Moral_Ethik.pdf

Hören Sie doch einmal in unseren Podcast mit Frau Mirjam Staffa, Ambulante Ethikberatung Sachsen, rein.

Sie berichtet von ihren Erfahrungen mit der Thematik. https://pflex-sachsen.de/pflex/wissen/pflexpodcast